29. September 2011   Aktuelles - Sozialesausschuss
Sozialticket - Eine Rede, die nie gehalten wurde

Statt im zuständigen Ausschuss, dem Sozialausschuss, über das Thema Sozialticket zu sprechen, wurde ein für viele Hartz IV EmpfängerInnen und AufstockerInnen wichtiges Thema in den Finanzausschuss geschoben. Damit wurde auch unserem stellvertretenden Mitglied in diesem Ausschuss, Hartmut Wessels, die Chance genommen, die Punkte der Linksfraktion mit einzubringen. Deswegen veröffentlichen wir hier die nie gehaltene Rede:

 

von Hartmut Wessels, DIE LINKE. Mönchengladbach

 

Meine Damen und Herren

Glaubt man der Verwaltung, liegt ein Ergebnis vor, das in der Vorlage als Teilnahme an dem Pilotprojekt eines sogenannten „Sozial Tickets“ bezeichnet wird.

Doch dem ist bei weitem nicht so, denn das, was uns vorliegt, hat nichts mit einem Sozialticket zu tun. Einem Sozialticket, wie es auch große Teile der SPD und der Grünen jahrelang gefordert haben: 15 € zeitunbeschränkt mit Mitnahmemöglich-keiten abends und am Wochenende.

Was jetzt beschlossen wird, ist ein 30 € Ticket, das über 90% der möglichen Nutzer allein aufgrund des Preises ausschließt. Dabei wird der Preis als zwangsläufig dargestellt, als zwingend notwendig, da das Ticket ansonsten nicht finanzierbar wäre! Ein Blick auf die Ausgangslage zeigt, dass ein 15-Euro Sozialticket sehr wohl finanzierbar ist.

Jede einzelne VRR-Karte wird bezuschusst. Ebenso wie jedes Abo, jede Werbemaßnahme. Der VRR hatte 2010 ca. 1 Mrd. Einnahmen durch Ticketerlöse. Das macht aber nur 48 % der Gesamtausgaben aus!

Diese Investition in den öffentlichen Personennahverkehr will doch keiner ernsthaft in Zweifel ziehen, oder? Um es vorneweg zu sagen: Ja, mit der Einführung des Sozialtickets entstehen Mindereinnahmen!

Mindereinnahmen – wenn man als Basis der Berechnungen Normalpreise zugrunde legt! Daraus entwickelt sich eine Zahlenakrobatik, die mit sozial- und verkehrspolitischer Notwendigkeit nichts zu tun hat.

Denn auch durch Einführung des Bärentickets sind Mindereinnahmen entstanden. Das gleiche gilt für Schokoticket, die Job – Tickets und das Semesterticket!

Es wäre fair, wenn die Vertreter im VRR sagten: Die Mindereinnahmen für den VRR beim Schokoticket betragen z.Zt. mindestens 150 Millionen Euro.

Die politischen Vertreter in den Aufsichtsräten der öffentlichen Verkehrsunternehmen müssten beim Bärenticket sagen: Die Mindereinnahmen kann die Kommune nicht übernehmen! Ja, der Stadtrat hätte seinen Vertretern im AR VRR bitten müssen, gegen die Einführung zu stimmen.

Das alles ist nicht geschehen! Unter anderem auch mit der Begründung, dass man nicht nur die Mindereinnah-men sehen dürfe, sondern auch die Mehreinnahmen durch Steigerung der Nutzerzahlen sehen müsse!

Zu Recht! Denn: Diese Tickets sind sinnvoll. Zugunsten von SchülerInnen, SeniorInnen, Studierende! Sie will doch keiner ernsthaft in Frage stellen, oder?

Wenn diese betriebswirtschaftliche Argumentation mit vermute-ten Mindereinnahmen ausgerechnet beim Sozialticket auf einmal auf der Tagesordnung steht, stellt sich automatisch die Frage: Warum eigentlich? Wäre es nicht ein Einfaches gewesen, der VRR hätte die Einführung beschlossen? Auch bei Minderein-nahmen von ca. 50 Mill € bei einem echtem Sozialticket?

Denn: Wie viel sind 50 Mill Euro im Verhältnis zu Erlösen im VRR von ca. 1 Mrd. im Jahr durch Fahrkartenverkäufe? Es bleibt nur eine Schlussfolgerung: Ein echtes Sozialticket ist nicht gewollt!

Ist nicht und war nie gewollt.

Fest steht: Ticketpreise sind politische Preise! Denn neben betriebswirtschaftlichen Aspekten gibt es noch eine Vielzahl wichtiger sozialer, ökologischer und verkehrspolitischer Argumente, die allesamt für ein Schokoticket, für ein Bärenticket und eben auch ein echtes Sozialticket sprechen.
Was jetzt zur Entscheidung vorliegt, ist ein politischer Beschluss – der lediglich betriebswirtschaftliche Argumente wiederholt, die durch nichts bewiesen wurden. Beschlossen vom VRR und den Aufsichtsorganen der Nahverkehrsunternehmen.
Und dieser politische Beschluss ist auch durch seine Ausgestaltung zum Scheitern verurteilt:

Den Preis von 30 € können nur die wenigsten Menschen mit niedrigem Einkommen erübrigen. Nicht zuletzt Dort-mund belegt das. Dort gab es noch bis vor kurzem das echte, das 15 Euro Sozialticket. Inzwischen wurde jedoch auf 30 Euro erhöht. Und das hatte entsprechende Folgen:
Betrug die Nutzerquote bei dem „echtem“ Sozialticket von 15 € noch 25 % mit dem Ergebnis neuer Kundinnen und Einnahmesteigerungen, so ging die Zahl der Nutzerinnen rapide auf 6,5 % (ca. 7.000) herunter – zumeist Vielfahrer, die ansonsten ein normales Ticket gekauft hätten! Genau für diese Menschen ist ein 30 €-Ticket von Vorteil, aber nicht für diejenigen, die es sich bisher auch nicht leisten konnten. So kann man auch Mindereinnahmen gewollt herstellen!

Die zeitliche Beschränkung mit der geplanten Überprüfung nach 14-monatiger Testphase ist kritisch zu sehen, wenn die Überprüfung schon dieses Jahr beginnt und im Frühjahr bereits abgeschlossen sein wird. Abgesehen davon, dass generell nur eine Befragung von NutzerInnen und nicht aller Ticket-berechtigten bzgl. der Notwendigkeit eines 30 € Tickets fragwürdig ist: Was meinen Sie, wie das Ergebnis aussehen wird? Wenn einerseits viele Abwicklungsfragen noch nicht ein-mal geklärt sind, andererseits viele mögliche NutzerInnen sich sehr lange überlegen müssen, ob sie den Preis überhaupt bezahlen können? Wir sagen voraus: Nutzerquote maximal 10 %! Und wir hören schon die Verantwortlichen: Der Bedarf ist zu gering, um den erhöhten administrativen Aufwand zu begründen!

Je mehr Fahrgäste das Ticket in Anspruch nehmen, umso höher wird der rechnerische Verlust für die Kommunen: CDU und Grüne haben den Städten eine feststehende Ausgleichszahlung pro Ticket aufgebürdet – unabhängig davon, ob es ein Neukunde ist oder nicht! Je mehr also verkauft werden, je höher ist die sogenannte „Ausgleichssumme“ der Kommunen, die an den VRR zu zahlen sind!

Das alles zusammen können wir nur „gewolltes Scheitern“ nennen!

Mit erheblichen Langzeitfolgen: Nicht nur, dass in 3,4,5 Jahren die gleiche „betriebswirtschaftliche Argumentation“ bei einer Überprüfung des Schoko- oder des Studenten-Tickets angewandt wird. Nein: Menschen werden aufgrund ihrer finanziellen Situation von notwendiger, gesellschaftlicher Mobilität langfristig ausgeschlossen. Bezahlbarer ÖPNV ist und bleibt Grundvoraussetzung für Mobilität! Ein Scheitern des 30 € Ticket wird auf lange Frist jede Einführung von sozialen Tickets verhindern!

Meine Damen und Herren,

Die Linke lehnt ein solches Unsozialticket ab. Ein Ticket für 30 € ist nicht sozial, mit diesem Ticket werden wir in unserer Stadt das gleiche Desaster erleben wie in Dortmund. Die NVV geht in ihrer Berechnung von 93 % Umsteigern von anderen Tickets aus und schätzt die Zahl der Neukunden auf maximal 7%  Dieses 30-Euro-Ticket beweist:

Die Verbesserung der Mobilität der untersten Einkommensschichten ist nicht gewollt.

Damit dass nicht passiert, müssen wir dem VRR-Vorschlag etwas im Sinne der Nutzerinnen entgegenstellen:

Ein echtes Sozialticket - Dazu gehören:

1. Ein Preis von höchstens 15€,

2. die zeitlich unbefristete Nutzung rund um die Uhr

3. die Mitnahmemöglichkeit eines Erwachsenen und von Kindern abends und am Wochenende.

4. Die Übertragungsmöglichkeit des Tickets innerhalb der Bedarfsgemeinschaft

5. Einführung eines rabattierten 4rer Tickets

In unserer Stadt leben ca. 18.000 Hartz-IV-Empfänger. Ein Preis von 30 € ist für diese Personengruppe nicht bezahlbar. Im Regelsatz von 364 € sind lediglich für Verkehr vorgesehen: 22,78 €

Darunter für fremde Verkehrsdienstleistungen: 20,41 €, aufgegliedert in:
Für öffentlichen Nahverkehr: 18,41 €
Für Reisen: 2,00 €

Das gilt jedoch nur für Alleinstehende. Bei Familien liegt der Regelsatz für Einzelpersonen noch niedriger. Ein Hartz IV Empfänger muss sich also für sein Recht auf Mobilität in anderen Bereichen stark einschränken, wenn er dieses Ticket erwerben will.

In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf den Fraktionsantrag der SPD, die noch zur Ratssitzung vom 27.02. 2008 einen Antrag zum Sozialticket für 15 Euro eingebracht hat der diesen Tatbestand anerkennt.

Dort heißt es: (Zitat) Der Preis von 15 € orientiert sich dabei an den in den Regelsätzen des SGBII und SGB XII enthaltenen Beträgen für fremde Verkehrsdienstleistungen.  In Dortmund ist das Sozialticket in kürzester Zeit bereits von über 10.000 Menschen erworben worden. Dies belegt, das es offensichtlich dringenden Bedarf für diese Ticket gibt. (Zitat ende)

Auch die Grünen sind im Antrag im Regionalverband Ruhr Anfang 2010 noch von einem Preis von 16 - 22  Euro ausgegangen.
Haben Sie das vergessen, meine Damen und Herren von SPD und Grünen? Wir fordern Sie auf, nicht hinter Ihre damalige Er-kenntnis zurückzufallen und sich für ein echtes Sozialticket ein-zusetzen, das diesen Namen auch verdient.

Es geht um:

- den Zugang für Geringverdienende,

- eine stigmatisierungsfreie Ausgabe

- und es geht darum, dass für das Sozialticket die Nutzung der Großkundenrabattierung wieder möglich wird.

Große Betriebe, die für ihre MitarbeiterInnen ein Betriebsticket anbieten, erhalten vom VRR entsprechende Rabatte. Der VRR muss wirtschaftlich gesehen, die AbnehmerInnen des Sozialtickets als genau einen solchen Großkunden, betrachten. Ähnlich wird es vom VRR auch beim Semesterticket gehandhabt: Nicht der einzelne AStA einer Hochschule zählt als Kunde, alle Asten gemeinsam werden als ein großer Kunde gesehen. Würde das Sozialticket unter solch eine Großkundenrabattierung fallen, dann sähen sämtliche Zahlenspiele schon ganz anders aus.

Durch unseren Antrag wollen wir Zeichen setzen und gleich-zeitig von VRR als auch vom Land die nötigen Beschlüsse einfordern, ein landesweites Sozialticket, das seinen Namen verdient, einzuführen.

E-Mail
Weitersagen
nach oben